Brahms-Portrait

 

Brahms' Unterschrift

 

1833-1897

 

1833

Johannes Brahms wird am 7. Mai* in Hamburg** geboren. Er ist das zweite Kind des vielseitigen Musikers Johann Jacob Brahms und seiner Ehefrau Christiana Nissen; er hat noch eine Schwester, Elise, die zu der Zeit drei Jahre alt ist. Die Familie lebt in bescheidenen Umständen im Haus der Grossmutter, im Gängeviertel, einer Gegend üblen Rufs. Der Vater hat zunächst keine feste Stelle und spielt zum Tanz auf, wenn sich die Gelegenheit ergibt, meistens mit seinem Kontrabass, aber auch mit Geige, Bratsche, Cello, Flöte oder Horn. Die Mutter ist bei der Geburt des Sohnes schon 44 Jahre alt, siebzehn Jahre älter als der Vater, und trägt als Näherin ein wenig zu den Einkünften bei.

* Dieses Geburtsdatum wird in fast allen Biographien genannt, obwohl JB selbst in einem Brief vom 8.8.1880 an Hermann Deiters, den Herausgeber der »Allgemeine Musikalische Zeitung«, den 7. März 1834 angibt.

** Die Städtenamen in Farbe findet man auf der nebenstehenden zeitgenössischen Karte.

Zeitgenössische Karte von Europa

1835

Der kleine Bruder Fritz Brahms kommt zur Welt.

1840

Johannes geht in die zweite Klasse und bekommt jetzt regelmässigen Klavierunterricht von Otto Friedrich Cossel, einem vom Vater sehr geschätzten Pianisten. Man bestätigt dem Kind eine ausserordentliche Begabung. Johannes zeigt besonderes Interesse an der leichten und flotten Musik gespielt vom Vater und seinen Kollegen. Angeblich zieht er schon in diesem Alter mit den Musikern durch die Nachtlokale Hamburgs und es wird behauptet, dass seine lebenslangen Hemmungen Frauen gegenüber mit der Zeit in diesem zwielichtigen Milieu zu tun haben.

1843

Johannes Brahms gilt als Wunderkind und tritt als Zehnjähriger zum ersten Mal öffentlich auf. Sein Lehrer findet, Johannes solle eine Karriere als schaffender und nicht allein als interpretierender Künstler anstreben; er bringt die Eltern dazu, eine Einladung zu einer Konzertreise durch Amerika abzulehnen.

Cossel empfiehlt den jungen Brahms seinem eigenen, berühmteren Lehrer Eduard Marxsen, der ihn zunächst nicht als Schüler annehmen will: er habe ihm nichts mehr beizubringen; dann aber gibt er ihm doch Unterricht in Musiktheorie und Komposition, ohne ein Honorar zu verlangen. Später schreibt JB, dass er Mendelssohn-Bartholdy um den Unterricht bei Carl Friedrich Zelter (besonders bekannt durch seine Vertonungen von Gedichten Goethes) beneidet habe, und wie er bedauere, bei Marxsen nicht weiter gekommen zu sein.

1847

Im September gibt er sein erstes Konzert mit eigenen Werken, u.a. der jetzt verschollenen Phantasie über einen beliebten Walzer und Variationen über ein Volkslied.

 

1849

Brahms besucht ein Konzert des jungen ungarischen Geigen-Virtuosen Joseph Joachim, eines bevorzugten Schülers des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy; er ist beeindruckt von Joachims Interpretation des Violinkonzerts von Beethoven. Im gleichen Jahr lernt er Eduard Hoffmann kennen, ebenfalls ein junger Geiger aus Österreich-Ungarn, der wegen Teilnahme am Volksaufstand 1848 verbannt jetzt durch Hamburg kommt, wohl schon auf dem Weg ins Exil in den U.S.A. Als magyarischer Patriot tritt er unter dem Namen Eduard Reményi auf.

 

1851

Erste erhaltene Komposition von Johannes Brahms: Scherzo op. 4.

 

1853

Reményi kommt nach einer erfolgreichen Konzertreise durch die Vereinigten Staaten zurück nach Deutschland und lädt Johannes Brahms ein, mit ihm auf Tournee durch Europa zu gehen. In Hannover wird Brahms von Reményi seinem früheren Mitschüler Joseph Joachim vorgestellt, der dort als Konzertmeister am Hof des Welfenkönigs Ernst August eine sehr gute Stellung hat. Diese Begegnung wird für Brahms von aussergewöhnlicher Bedeutung, denn es entsteht eine herzliche und produktive Freundschaft mit Joachim. Als besonders wichtig erweist sich ein Brief von Joachim an Robert Schumann in Düsseldorf, in dem er Johannes Brahms dem berühmten Komponisten als junges musikalisches Genie empfiehlt.

Durch Vermittlung von Joachim kommt Brahms zunächst nach Weimar und wird von dem exzentrischen, exaltierten, theatralischen Klaviervirtuosen Franz Liszt empfangen. Die beiden Künstler sind sich im Wesen völlig fremd, denn der zwanzig Jahre jüngere Brahms ist scheu und zurückhaltend, meint immer noch Zugang ins Künstlerleben erwerben zu müssen und vertritt, wie sich bald in seinen Kompositionen zeigt, eine völlig andere Auffassung vom Wesen der Musik. Aber Liszt ist sehr von ihm und von seiner Musik beeindruckt und hilft ihm mit Empfehlungen.

Johannes Brahms trennt sich in Weimar von Reményi, macht eine Rheinwanderung und kommt gegen Ende des Sommers nach Düsseldorf, von Joachim bei Robert Schumann angemeldet. Schon etwa einen Monat nach der Ankunft folgt er einer Anregung Schumanns und schreibt den 3. Satz einer Sonate für Violine und Klavier, die Joseph Joachim gewidmet werden soll. Der erste Satz wird von dem damals bekannten Musiker Albert Dietrich komponiert, der zweite und vierte Satz vcn Robert Schumann. Die Tonfolge f...a...e... erscheint als Motiv in allen Sätzen; es ist Joachims eigenes romantisches Motto »frei aber einsam«. Die Sonate bleibt als gemeinsames Werk zu Lebzeiten der Freunde unveröffentlicht; Brahms’ dritter Satz erscheint als Scherzo erst 1906 (WoO 2). Im Gesamtverzeichnis der Werke Schumanns wird das Werk als Violinsonate Nr. 3, in a-moll, WoO 2, aufgeführt (Ersterscheinung 1956).

Brahms und Schubert sind wesensverwandte Gemüter und bewundern einander. Brahms’ Stimmung findet Ausdruck in der Klaviersonate op. 5, die er bei seinen Gastgebern vollendet. Johannes schreibt der Zeit entsprechend »romantische« Ergüsse über Schumanns Genie an Freund Joachim; Robert veröffentlicht schon im Oktober in der von ihm herausgegebenen Neuen Zeitschrift für Musik einen Artikel, in dem er Brahms’ Talent überschwenglich preist.

Jetzt ist der Zwanzigjährige plötzlich überall bekannt, obwohl seine Kompositionen bis zu der Zeit noch nicht die Schönheit der Werke seiner späteren Schaffensperioden erreicht haben. Beim bekannten Musikverlag Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig, damals schon mehr als 100 Jahre alt, werden seine ersten Kompositionen gedruckt. Alles scheint ihm zu gelingen, dem sonst so kritischen Komponisten, der oft die am Tag zuvor geschriebenen Werke verbrennt. Aber das folgende Jahr bringt eine erschütternde Wende für die Freunde.

 

1854

Am 4. März wirft Robert Schumann seinen Ehering von der Rheinbrücke und springt dann selbst ins Wasser. Er wird von zwei Fischern gerettet und kurz darauf in eine private Nervenheilanstalt in Endenich bei Bonn (etwa 40 km südlich von Köln) gebracht. Bis zu seinem Tod zwei Jahre später wird er dort bleiben. Es gibt keine befriedigende Erklärung für diesen Selbstmordversuch ausser dem leicht hingeworfenen Begriff einer Melancholie, der bei solchen Anlässen häufig angewandt wird und heute als chronische Depression gilt. Schumanns Biographen weisen in diesem Zusammenhang oft darauf hin, dass Robert in seiner Studentenzeit an Syphilis erkrankt war und dass sich als Spätfolge ein progressiver geistiger Verfall gezeigt habe.

Brahms reist sofort nach Erhalt der Nachricht zu Clara Wieck-Schumann nach Düsseldorf. Clara steht kurz vor der Geburt ihres siebten Kindes und ist verzweifelt. Einige Biographen Schumanns werfen ihr vor, dass sie ihrem Mann nicht fest und zuverlässig zur Seite gestanden habe, dass sie ihm nicht einmal von der Geburt seines Sohnes Felix im Juni geschrieben habe, ihm erst fünf Monate nach seiner Einlieferung den ersten Brief geschickt (also erst im August) und lieber die relativ hohen Kosten von 600 Talern pro Jahr für die stationäre Behandlung Roberts bezahlt habe, anstatt sich dafür einzusetzen, dass er nachhause komme. Dieser Kritik steht dagegen, dass sie unter den schwierigsten Umständen sehr schnell ihre Karriere als Konzertpianistin wieder aufnehmen muss, um ihre Familie versorgen zu können, denn sie hat kaum Ersparnisse, keinen finanziellen Rückhalt

Johannes ist seit seinem ersten Besuch bei den Schumanns an Clara, der immerhin 14 Jahre älteren Frau, schwärmerisch interessiert. Sie ist eine Schönheit, eine begabte und bewunderte Pianistin, die bei ihren Konzerten in ganz Europa Stürme von Beifall erntet. Er gibt viel auf ihre Meinung über seine neu komponierten Werke und in den wenigen hinterlassenen Briefen reden sie sich immer klarer als eng verbundene, sehr verliebte Menschen an. Es existiert keinerlei Hinweis darauf, dass aus dieser romantischen Beziehung jemals mehr geworden sei.

Joseph Joachim und Johannes Brahms sind fast die einzigen Besucher Schumanns in Endenich. Clara kommt nicht zu ihm, auf Anraten der Ärzte, um ihn nicht aufzuregen.

 

1855

Clara Wieck-Schumann, Joseph Joachim und Johannes Brahms unternehmen eine Konzertreise nach Danzig. Brahms steht mit Beethoven, Schubert und Haydn neben eigenen kleineren Werken auf dem Programm. Er ist überhaupt als Interpret sehr gefragt und bestreitet davon sein Einkommen fast ausschliesslich, da er noch keine feste Stellung hat und auch nur halbherzig sucht.

 

1856

In dieser traurigen Zeit kommt Brahms nicht viel zum Komponieren, aber er schreibt einige Skizzen für spätere Werke.

Ende Juli wird Clara telegraphisch nach Endenich gerufen, da es um ihren Ehemann schlecht bestellt sei. Sie kommt jeden Tag zu ihm, aber als er am 29. Juli nachmittags entschläft, ist er allein. Der Obduktionsbefund spricht von einer Hirnatrophie und bestätigt damit die damals schon von einigen Ärzten vermutete »Hirnerweichung« als letztes Stadium einer Syphilis.

Wohl unter dem Eindruck der tiefen Trauer Claras um den Verstorbenen distanziert sich Brahms von ihr, aber die Freundschaft besteht weiter.

 

1857

Brahms nimmt eine (Teil-)Stelle als Chorleiter und Klavierlehrer der Prinzessinnen am Fürstenhof zu Detmold an (ca. 120 km südwestlich von Hannover) und macht dort für sein Interesse auf dem Gebiet der Liedkunst wichtige praktische Erfahrungen. Er lebt nur im Winter in Detmold, sonst in Hamburg, und erarbeitet viele neue Werke nach der wenig ergiebigen Zeit in Düsseldorf. Eine Sonate für zwei Klaviere, immer wieder überarbeitet, wird auf Rat seines Freundes Joachim zum 1. Klavierkonzert (d-moll, op. 15).

 

1858

Johannes Brahms lernt durch Bekannte die Göttinger Professorentochter Agathe von Siebold kennen, verliebt sich und verlobt sich mit ihr. Claras etwas eifersüchtiger Kommentar ist »du hast dich schnell getröstet«. Obwohl Brahms die Verlobung nach nur einigen Monaten wieder löst, muss ihn die Liebe heiss entflammt haben, denn er nimmt die Buchstaben ihres Vornamens als Thema des 11. Lieds im Zyklus op. 44 (1859),und dann im G-dur Sextett für Streicher aus den Jahren 1864-1965 (op. 36). In seinen Entscheidungen, seinem Umgang und seiner Musik zeigt sich der Romantiker, voller Erwartungen, Hoffnung, Sehnsucht, die sich aber nicht erfüllen kann oder sogar soll, weil er frei sein muss, ungefesselt (wie er selbst schreibt). Trotzdem hat er mehrere freundschaftliche Bindungen, die die Jahre, Kontroversen und Misserfolge überdauern.

Die ersten seiner Ungarischen Tänze (WoO1) entstehen und werden von Clara Wieck-Schumann im Oktober zum ersten Mal öffentlich gespielt.

 

1859

Brahms komponiert viele neue Werke in dieser Zeit, aber nicht alle sind erfolgreich. Sein Klavierkonzert Nr. 1 (op.15) zum Beispiel spielt er erst in Hannover, dann in Leipzig und erntet damit nur harsche Kritik. Neben seiner Arbeit in Detmold, auf Herbst und Winter befristet, gründet er in Hamburg einen Frauenchor, der ihm viel Freude macht und seine Liebe für einfache Lieder zeigt. Er begleitet den bekannten Bariton Julius Stockhausen in Aufführungen der Lieder von Schubert und Beethoven. Seine ersten Lieder und Romanzen entstehen, bald danach in umfangreichen Zyklen.

Nach der schlechten Aufnahme des Klavierkonzerts gibt sich Brahms’ Verleger Breitkopf sehr vorsichtig. JB macht die Bekanntschaft von Fritz Simrock, dessen Verlagshaus langsam aber stetig mehr seiner Werke veröffentlicht. Mit diesem Verleger wird Brahms in wenigen Jahren zum wohlhabenden Mann, obwohl er für seine Werke nur ein Pauschalhonorar erhält, keine Tantiemen

 

1860

Nach einem Aufsatz in der Neuen Zeitschrift für Musik, in dem die sinfonische Dichtung, das Musikdrama, die Oper und die Programmusik als Zukunft der Kunstform dargestellt werden, kommt es zu einem gehässigen Briefwechsel zwischen Liszt, Wagner u.a. als Repräsentanten einer »Neudeutschen Schule« und Brahms, Joachim, dem Dirigenten Hans von Bülow und dem einflussreichen Wiener Kritiker Eduard Hanslick als Vertreter der konservativen »absoluten« Musik, die nur aus sich heraus wirken und unabhängig von Modevorstellungen Werte auf Dauer bieten solle. Nach einem Manifest, mit-unterzeichnet von Brahms, veröffentlichen die »Neudeutschen« eine bissige Verhöhnung ad personas. Das ist der berüchtigte Musikstreit, in dem es natürlich zu keinem Kompromiss kommen kann. Der kleine, nervöse Hans von Bülow war eifriger Anhänger Wagners gewesen, obwohl der Opernmeister jahrelang ein amouröses Verhältnis und sogar Kinder mit Bülows Frau Cosima (Tochter von Franz Liszt) hatte. Sein Abrücken von Wagner erklärt Bülow damit, das er jahrelang dessen Musik studiert habe und schliesslich nicht mehr dahinter finde als »duselige« Gefühle. Wahrscheinlich gibt es für die Ressentiments und Angriffe noch andere handfeste Gründe. Mathilde Wesendonck, die Frau eines reichen deutsch-amerikanischen Textilkaufmanns, entzog Richard Wagner gegen Ende der fünfziger Jahre die langjährige grosszügige finanzielle Unterstützung, nach einer Auseinandersetzung mit Wagners Ehefrau Minna; sie bewundert Brahms und bietet ihm später, 1868, ihr Schauspiel Gudrun als Libretto für eine Oper an.

1861

Brahms lebt bei seinen Eltern in Hamm bei Hamburg und komponiert die Händel-Variationen (op. 24), die von Liszt sehr geschätzt werden.

Clara Wieck-Schumann bringt Brahms’ Klavierquartett Nr. 1, in g-moll (op. 25), in Hamburg zur Uraufführung.

 

1862

Ein entscheidendes Jahr für Johannes Brahms. Er reist nach Wien, der Stadt seines Idols Ludwig van Beethoven, und findet dort sofort eine freundliche, bisweilen enthusiastische Aufnahme. Noch vor Ende des Jahres gibt er eine ganze Reihe von Konzerten, auch mit eigenen Werken, und berichtet seinen Eltern freudig über den Applaus des Publikums und über das Kunstverständnis der Wiener. Er fühlt sich sehr wohl in dieser Umgebung mit vielen neuen Freunden und neuen Anregungen, aber er hofft doch auf die Nachricht aus seiner geliebten Heimatstadt, dass er zum Leiter der Hamburgischen Philharmonischen Konzerte berufen werde. Als sein Freund Julius Stockhausen, inzwischen ein berühmter Sänger, als Direktor bestallt wird, ist Brahms enttäuscht, sogar verbittert über diese Entscheidung. Zum Glück ist er selbstsicherer geworden und vom Wert seiner Arbeit überzeugter. Er kehrt zurück nach Hamburg und beginnt Arbeit an Rinaldo (op. 50), einer Kantate.

In Hamburg hört Brahms eine Proben-Aufführung von Wagners Tristan und Isolde und »schaudert vor Entzücken«, wie sein Biograph und eigentlich Hagiograph Max Kalbeck erzählt.

1863

In Hamburg erreicht ihn das Angebot, die Leitung der Wiener Singakademie zu übernehmen. Er zögert zuerst, weil er immer noch Schwierigkeiten hat sich festzulegen, zu binden. Schliesslich sagt er zu. Im August macht er sich auf die Reise, auf dem Weg besucht er Clara Wieck-Schumann in Baden-Baden (etwa 170 km südlich von Frankfurt).

Anfangs geht die Arbeit als Chorleiter gut, aber die Wiener Sänger nehmen anscheinend die Proben nicht ernst genug und dazu kommt noch, dass sie in ihrem eher freudigen Wesen die Schwermut des Dirigenten und die Auswahl der Stücke für die Konzertprogramme nicht schätzen.

1864

Brahms gibt die Stelle als Chorleiter der Wiener Singakademie auf, obwohl er wieder gewählt wurde. Finanziell hat er keine Sorgen. Verleger Simrock drängt ihn, mehr zu komponieren, da eine grosse Nachfrage nach seinen Werken bestehe. Sein Zyklus Lieder und Gesänge (op. 32) erscheint. Als Konzertpianist ist er wie immer sehr gefragt.

 

1865

Johannes Brahms beendet die Arbeit an einer lange geplanten Trauerkantate anlässlich des Todes seiner Mutter: das Deutsche Requiem (op. 45) entsteht, mit (deutschem) Text aus der Luther-Bibel.

Ohne die Verpflichtungen, die eine feste Anstellung mit sich bringt, zieht Brahms in den folgenden Jahren durch Europa, gibt in allen grösseren Städten Konzerte (die »Virtuosenreisen«), zunehmend mit eigenen Werken. Im Sommer wohnt er monatelang in der Schweiz (in Thun, südlich von Bern, oder Rüschlikon bei Zürich), in Österreich (in Pörtschach und Mürzzuschlag, beide südlich von Wien, oder in Bad Ischl, 60 km östlich von Salzburg) oder aber in Baden-Baden in der Nähe von Clara Wieck-Schumann. Für seine Arbeit als Komponist sind diese Jahre sehr fruchtbar, trotz aller Reisen. In Wien lebt er bescheiden mit seinen vielen Büchern in einer angemessenen, aber gewiss nicht grossartigen Mietwohnung.

Brahms kümmert sich darum, dass die Musik Franz Schuberts (1787-1828) nicht vollkommen vergessen wird; er sammelt dessen Manuskripte, manche davon noch preiswert erhältlich und viele bis dahin unveröffentlicht.

1866

Das Piano-Quintett in f-moll (op 34) zeigt deutliche Anklänge an Schuberts Quintett in C-dur für Streicher.

1868

Längere Konzertreise durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Dänemark, Holland und die Schweiz mit dem Bariton Julius Stockhausen und mit Joseph Joachim.

Brahms vollendet die ersten zehn seiner Ungarischen Tänze (WoO1) für Klavier zu vier Händen. Er war schon seit seiner Konzert-Tournee mit Eduard Reményi fasziniert von ungarischen Melodien und die späteren Vorwürfe des ungarischen Freundes, Brahms habe die Melodien vom ihm »gestohlen«, lassen sich nicht aufrecht erhalten, da die meisten Tänze aus der populären Zigeunermusik kommen oder von Brahms nachweislich selbst komponiert sind.

Übrigens hegt Joseph Joachim, der »andere« Ungar, gegen Brahms keinen Groll und bespielt später, im Jahr 1903 einen sogenannten Edison-Zylinder mit dem ersten der Ungarischen Tänze; diese historische Aufnahme ist zu hören bei youtube.com/watch.

Das Deutsche Requiem (op. 45), 1867 in Wien ein Misserfolg, wird im Dom zu Bremen aufgeführt und erhält beste Rezensionen.

1869

Das Jahr vergeht in stiller Arbeit. Brahms komponiert fast ausschliesslich Lieder, z.B. Teile der Liederzyklen op. 47, 48, 49, dann die Liebeslieder (Walzer), op. 52.

 

1870

Johannes Brahms besucht eine Aufführung von Wagners Rheingold in München. Er ist begeistert von der Musik, wie schon vorher von den Meistersingern, die zwei Jahre zuvor unter Hans von Bülow zur Uraufführung gekommen waren. Wagner greift ihn in seiner Schrift »Über das Dirigieren« heftig an.

1872

Eduard Hanslick, Kritiker, Professor für Musikgeschichte an der Universität Wien und fester Freund von Johannes Brahms, soll wesentlich zur Entscheidung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien beigetragen haben, dass der inzwischen berühmte Komponist zum Leiter und Dirigent der Gesellschaft in ihrem 1870 neu errichteten Gebäude wird.

Der Vater von Johannes Brahms stirbt. Die letzte Verbindung zu Hamburg ist damit gebrochen.

 

1873

In Tutzing am Starnberger See (südlich von München) komponiert Brahms die Haydn-Variationen (in der Orchesterfassung, op. 56a) und erlebt ihren grossen Erfolg bei der Uraufführung in Wien, im November. Seinem neuen Freund Theodor Billroth, damals schon ein weltbekannter Chirurg, widmet er seine ebenfalls erfolgreichen Streichquartette op. 51.

1874

In Leipzig wird ein Bachverein gegründet, dessen Hauptträger der Komponist Heinrich von Herzogenberg (als Chorleiter) und seine Frau Elisabeth sind. Die Dame ist ein talentierte Pianistin, führt ein reges Gesellschaftsleben und hat zu vielen Künstlern der Zeit Kontakt, u.a. zu Clara Wieck-Schumann. Sie setzt sich voller Energie für den von ihr verehrten Brahms ein. JB schickt ihr Manuskripte zur Beurteilung und verliebt sich prompt in sie, ihren Geist, ihr Klavierspiel und ihren Gesang, aber auch in ihre Kochkünste.

Brahms trifft Max Kalbeck, der 1910-1914 eine Biographie in mehreren Bänden schreiben wird.

1875

Johannes Brahms gibt die Leitung des Wiener Singvereins wieder auf.

Der Komponist ist oft mürrisch und schroff, ausser wenn er über seine Arbeit spricht – er will einfach nicht gestört werden. Wie sehr er von seiner Musik erfüllt ist zeigt sich darin, dass er am Klavier, beim Dirigieren und auch beim Spazierengehen lange Passagen vor sich hin summt. Seine Musik-Freundin Elisabeth von Herzogenberg traut sich, ihn wegen seines unfreundlichen Wesens zu rügen, auch weil er nichts Gutes über die Kompositionen ihres Mannes zu sagen hat.

 

1876

Seit etwa 16 Jahren schreibt er Skizzen für eine Symphonie und verwirft sie wieder oder verarbeitet sie zu anderen Stücken. Manche seiner Vorarbeiten schickt er Freunden wie Clara Schumann, Joseph Joachim oder Fritz Simrock. Er ist befangen, immer noch unter dem Eindruck der mächtigen Neunten von Ludwig van Beethoven. Endlich, beim Sommeraufenthalt in Sassnitz auf der Insel Rügen, wird Brahms’ 1. Symphonie (op 68, c-moll) fertig. Schon im November kommt sie in Karlsruhe zur Uraufführung, einige Tage später dirigiert sie Brahms in Mannheim (60 km nördlich von Karlsruhe) selbst. Sie wird von Publikum und Kritikern enthusiastisch aufgenommen. Eigenartigerweise findet die Symphonie ein Jahr später in Boston (Vereinigte Staaten) durchwegs herbe Kritik: langweilig, laut, arm an Ideen, die Themen seien nur fragmentarisch ausgearbeitet. In Europa dagegen wird Brahms als würdiger Nachfolger Beethovens gepriesen, seine Symphonie sogar »Die Zehnte« genannt.

 

1877

Brahms arbeitet an seiner 2. Symphonie (op. 77, D-dur) während eines längeren Aufenthaltes in Pörtschach am Wörthersee (etwa 200 km südlich von Salzburg). Sie wird schnell fertig und schon im Dezember in Wien aufgeführt.

1878

Eine eigentlich freudige, erfolgreiche Zeit beginnt. Brahms ist viel auf Reisen; mit seinem guten Freund, dem Arzt Theodor Billroth, kommt er zum ersten Mal nach Italien. Langsam entsteht das wunderschöne zweite Klavierkonzert, wird aber zugunsten der Arbeit am D-dur Violinkonzert (op. 77) vorerst beiseite gelegt.

1879

Brahms wird zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Universität Breslau ernannt. Etwa ein Jahr später bedankt er sich für diese Auszeichnung mit der Akademischen Festouvertüre (op. 80), die mit dem Studentenlied Gaudeamus igitur abschliesst.

Das Violinkonzert in D-dur, (op.77) wird im Leipziger Gewandhaus zum ersten Mal aufgeführt; den Solopart spielt Joseph Joachim, Brahms dirigiert.

1881

Arbeitsaufenthalt in Bad Ischl im Salzkammergut (östlich von Salzburg), wie auch schon im Vorjahr. Brahms’ Zweites Klavierkonzert, in B-dur (op. 83) wird fertig, von ihm selbst in Budapest der Öffentlichkeit vorgeführt und in vielen Städten Deutschlands vom Meininger Orchester (südlich von Göttingen) unter Hans von Bülow gespielt. Es ist eines seiner erfolgreichsten Werke.

Zweite Italienreise, wieder mit Freund Billroth.

1883

Dies ist die Zeit der grossen Orchesterwerke von Brahms. Die Dritte Symphonie, in F-dur (op.90) wird fertig, in Wien aufgeführt.

1884

Joseph Joachim hat den Verdacht, dass seine Frau Amalie ein Verhältnis mit dem Verleger Fritz Simrock unterhält und besteht auf einer Scheidung. Brahms nimmt vehement Partei für Amalie, und das löst die enge Freundschaft von Joachim und dem Komponisten.

 

1885

Brahms beendet die Vierte Symphonie, in c-moll (op. 98). Sie wird in Meiningen aufgeführt, unter dem Stab von Hans von Bülow, sehr unterschiedlich beurteilt, sowohl höchst gelobt wie auch schonungslos verrissen. Der Komponist Hugo Wolf, ein Anhänger Liszts, nennt das Werk einfallsarm, langweilig; er verurteilt mit bissigen Worten einfach alles, was von Brahms stammt. Leider zögern mehrere bekannte Persönlichkeiten nicht, ihrer Misstimmung über diese Musik Ausdruck zu verleihen, wie Bernard Shaw und Friedrich Nietzsche, aber auch einflussreiche Kritiker wie John F. Runciman in London und vor allem (und sehr heftig) Peter Tschaikowsky.

Johann Strauss jn., der »Walzerkönig«, trifft Brahms; er ist noch jung aber bereits sehr bekannt. Er bewundert den dreissig Jahre älteren Meister, sieht jedoch keine Zukunft für dessen »absolute« Musik.

 

1886

Johannes Brahms schreibt Werke für Violoncello, die Cello-Sonate in F-dur, op. 99, und das Konzert für Violine und Violoncell, in a-moll, op. 102.

 

1887

Wieder eine Reise nach Italien im Sommer, die fünfte, diesmal mit dem Komponisten Theodor Kirchner und Fritz Simrock, dem Verleger.

1888

Brahms ist in Leipzig und probt dort mit dem russischen Geiger Adolph Brodsky sein neues Trio, in c-moll, op. 101, für Pianoforte, Violine und Violoncell. Er wird zum Weihnachtsessen in Brodkys Wohnung eingeladen und ist etwas erstaunt, als auch Edvard Grieg und Peter Tschaikowsky dazu kommen. Es wird ein lustiger Abend, an dem Tschaikowsky und Grieg sich annähern, Brahms aber sich schroff und ablehnend benimmt.

Bei Aufenthalten in Thun (bei Bern, Schweiz) zwischen 1886 und 1888 komponiert Brahms fast ausschliesslich Lieder (op. 103, 104, 105, 106, 107).

1889

Die Stadt Hamburg macht Johannes Brahms zum Ehrenbürger; es ist eine der wenigen unter seinen vielen Auszeichnungen, die ihm Freude macht. Im April fährt Brahms nach Cadenabbia am Comer See, zum siebten Mal nach Italien, aber diesmal ganz alleine. Er wohnt in der blumenumgebenen Villa des Herzogs von Meiningen.

Am 2. Dezember bespielt Brahms einen Edison-Zylinder mit seinem Ungarischen Tanz Nr. 2. Die Aufnahme ist erhalten und zu hören bei youtube.com/watch.

1891

Brahms ist begeistert vom Können des Klarinettisten Richard Mühlfeld, der im Meininger Orchester spielt, und schreibt das Trio für Pianoforte, Klarinette (oder Bratsche) und Violoncell, in a-moll (op.114) wie auch das Quintett für Klarinette (oder Bratsche), zwei Violinen, Bratsche und Violoncell, in h-moll (op.115).

Sein bevorzugter Ferienort in den Sommermonaten von jetzt bis zum Ende seines Lebens ist Bad Ischl bei Salzburg.

 

1892

Brahms geliebte Schwester Elisa stirbt.

 

1893

Die letzte, neunte, Italienreise von Johannes Brahms, bis Sizilien, mit drei alten Freunden. Die Reise ist gespickt mit Schwierigkeiten: erst geht ihm der Geldbeutel verloren, dann erleidet sein Freund Joseph Victor Widmann, Dichter, Librettist und Literaturkritiker, bei der Überfahrt von Messina nach Neapel einen schmerzhaften Unfall.

Die begabte Altistin Hermine Spies stirbt im Alter von nur 33 Jahren. Sie war eine bekannte Interpretin der Lieder von Johannes Brahms und eine enge Freundin.

 

1894

Die Freunde Theodor Billroth und Hans von Bülow sterben, beide im Alter von 64 Jahren.

 

1895

Clara Wieck-Schumann und Johannes Brahms sehen sich zum letzten Mal in Frankfurt, wo sie als private Klavierlehrerin recht und schlecht ihren Unterhalt verdient, nachdem sie ihre Stelle als Musikpädagogin am Konservatorium aufgegeben hat. Die finanzielle Unterstützung von Brahms nimmt sie schweren Herzens an.

 

1896

Der Herzog von Meiningen und die Stadt Meiningen veranstalten das Erste Brahms-Fest.

Clara Wieck-Schumann stirbt am 20. Mai mit fünfundsiebzig Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls, nach einem längeren Leiden unbestimmter Natur, das zu erschreckender Abmagerung und Schwächung führte. Brahms erhält die Nachricht ihres Todes in Bad Ischl, reist sofort ab nach Frankfurt aber erfährt dort, dass sie in Bonn, bei ihrem Mann Robert Schumann auf dem Alten Friedhof bestattet wird. Er kommt zu spät zur Beerdigung und spielt seine Vier ernsten Gesänge, op. 121, bei der Trauerfeier unter Tränen.

 

1897

Johannes Brahms stirbt nach längerer schwerer Krankheit am 3. April in Wien, kaum ein Jahr nach Clara. Er wird auf dem Zentralfriedhof beigesetzt, in der Nähe von Beethovens und Schuberts letzten Ruhestätten.

Eine Obduktion wird nicht vorgenommen; als Todesursache gilt eine Lebercirrhose, möglicherweise auch ein Carcinom, oder Krebs, der Bauchspeicheldrüse.

 
     

Empfohlene Literatur

 

Hans A. Neunzig: Johannes Brahms. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg: 2006 (21. Auflage)

Hans Gal : Johannes Brahms, Werk und Persönlichkeit. Fischer Bücherei, Frankfurt am Main: 1961

Max Kalbeck: Johannes Brahms. Berlin: 1921 (4. Auflage, 4 Bände) oder www.zeno.org/Musik/M/Kalbeck,+Max

Alfred von Ehrmann: Johannes Brahms. Weg, Werk und Welt. Breitkopf & Härtel, Leipzig: 1933

Christiane Jacobsen (Hrsg.): Johannes Brahms. Leben und Werk. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden: 1983